Ein neuer Pharao
Die millionen Tage
Mit großer Kraft weht der Wind aus dem Süden herauf. Staub wirbelt auf, rötet die Luft, verschleiert die Scheibe der Sonne.
Der Lotus beugt sich und das Schilfrohr neigt das Haupt. Wellen türmen sich auf, in den ewigen Fluten des Nil.
Groß ist die Kraft des Sturms, sein Brüllen überzieht das Land. Doch die Menschen darin sind stumm. So wie die Fluten des Nil steigen und fallen,
so hat auch das Land sich gewandelt. Es blühte auf, als mächtig der Schlaf noch war der anderen Völker, nicht beschenkt von netzenden Leben des Flusses.
So verfiel es aber auch zermalmt von Krieg und Hunger, von Seuchen und Streit. Und das Land ward dunkel von Asche und Rauch.
Doch aus den Glimmenden Funken erhob sich das Land ein ums andere Mal und trieb neue Blüten und wandelte sein Gesicht wie auch die Zeit sich gewandelt.
Durchweg aber erkannte man das Land, das der große Fluss benetzt, das von Lotus und Papyrus seine Kronen gebar. Sein Ka überdauerte und die Linien seiner Herrscher,
von den unvordenklichen Zeiten der Einigung von Ober- und Unterägypten bis zu jenen jungen Eroberer Alexander, überdauerten mit ihm.
Doch nun muss das Land sich erneut wandeln. Denn Alexander ist nicht mehr und ein neuer Herrscher nimmt Platz auf den ewigen Thron der ägyptischen Könige,
welcher nun schon eine Million Tage und mehr gesehen hat unter dem Auge des Re. Was wird nun aus dem Land der göttlichen Zeichen? Wird eine neue Dynastie dem Volk
Glück und Segen bescheren und die Maat für viele Generationen erhalten, oder wird der Fremde Herr seinen Schatten werfen über das Land am Ufer des großen Stromes und Ägypten
im Staub der Wüste zestreuen.
Ptolemaios
Der Ersatz des Demetrios. Der unscheinbare und schlichtende. Der Vorkoster und Leibwächter. Und erst sehr spät auch Heerführer. Er war nie die erste Wahl Alexanders gewesen, das war nur zu offensichtlich. Zwischen all den jugendlichen Hetairoi zu denen er erst mit knapp vierzig Jahren gezählt wurde, wirkte er eher phlegmatisch. Lediglich Antigonos und Antipatros zählten mehr an Jahren, waren dafür aber auch schon unter Alexanders Vater Phillipp zu mächtigen Heerführern gekürt worden.Doch hatte auch er sich verdient gemacht. Er war es schließlich, der im Kampf gegen die Aspasier in Indien persönlich in die gegnerischen Reihen vorstieß, an seiner Seite nur ein paar Dutzend Hypaspisten und den Fürsten dieses fernen Reiches mit seinem Schwert durchbohrte. Die Wunde, die ihm dieser mit einem breiten Speer in seine rechte Hüfte bohrte, schmerzte ihm bei Zeiten noch immer. Ja er war nie derjenige, der die Lobgesänge erntete, doch war er ein enger Freund Alexanders. Diese Freundschaft hatte sich durchaus ausgezahlt, war es doch Alexander selbst, der ihm dazu riet nach seiner vor Harmatelia erlittenen Vergiftung das Arlantiskraut aus seinem persönlichen Vorrat in mit Wasser verdünnter Form zu sich zu nehmen, welches seine Leiden nach kaum einem Tag beendete.
Das er jetzt ein eigenes Reich besaß, und nicht etwa irgendein Reich, nein, hierbei handelte es sich schließlich um Ägypten, dessen Geschichte so alt zu sein scheint wie die zeit selbst, lag zum großen Teil an den Machenschaften des Perdikkas. Denn ohne die durch dessen Machtansprüche losgetretene Wirren, hätte er die Satrapie Ägypten wohl nie erhalten. Doch nun war er hier. Der Schlichter und Geduldige. Lange Zeit hatte er wahrlich auf seine große Chance warten müssen, aber als sie dann kam, hatte er zugepackt. Mit beiden Händen und mit Zähnen und Klauen und seinen Preis, das reiche Land am Nil nicht wieder losgelassen.
Aber was sollte er nun tun mit dieser Beute. Zu glanzvoll war die neue Hauptstadt Alexandria, benannt und gegründet von seinem alten Freund vor so wenigen Jahren, doch schon gewaltig an ausmaßen, als dass man ihr einfach den Rücken kehren konnte. Doch war Memphis oder Theben der traditionellere Sitz der Herrscher dieses Landes. Diese hatten aber auch des Öfteren ihre Residenzen gewechselt, dachte er sich. Also warum nicht eine neue Metropole für eine neue Dynastie?
Doch gab es da ja noch andere Fragen. Sollte seine Familie herrschen wie die Makedonen es getan hatten, oder aber sich den Gepflogenheiten des Landes unterwerfen. Letzteres tat auch Alexander nur zu gerne und Ptolomaios wusste, dass ihm dies nicht nur Freunde eingebracht hatte. Besonders die aus dem östlichen Mittelmeer hinzugezogenen hellenischen Händler und Adelsfamilien würden eine Unterwerfung unter die alten Werte dieses Landes wohl verdammen und seiner Dynastie den Rücken kehren. Doch die Millionen von einfachen Menschen in diesem Land hätte er dabei wohl hinter sich. Auch die immer noch mächtigen Priester des Amun-Re und der anderen Gottheiten würden eine traditionellere Regierung mit wohlwollen unterstützen. Es hieß also, bei dieser Option nur die hinzugezogenen Griechen im Auge zu behalten und da diese sich vornehmlich in der Umgebung Alexandrias angesiedelt hatten, konnte er sie auch gleich von einem neuen Herrschersitz dort im Auge behalten. Somit hätte er sich zumindest aus seiner Sicht ein weitaus bequemeres Nest gemacht, als wenn er vorgehabt hätte, sich mit dem Volk und den alteingesessenen Eliten überall im Lande anzulegen. Ja es war wohl wesentlich angenehmer, auf lange Sicht gesehen, sich mit den uralten Traditionen dieses Landes vertraut zu machen und manche davon hatten gewiss auch ihre Vorteile, da war sich Ptolomaios sicher.
Das schöne Fest vom Wüstental
So steht es nun im Land des großen Stromes. Nach zehnjähriger Regierungszeit hat Ptolemaios die Throne der Gottheiten erhalten und mit ihnen lange Jahre der Herrschaft und das Land Ägypten. Er hat geschworen die Maat aufrechtzuerhalten und hat den Ka des Horus in sich aufgenommen. Wiedergeboren als Sohn des Re, als vollkommener Gott, Herr beider Länder von der Binse und der Biene soll er als neuer Pharao herrschen.
Mit der Krönung kommen die Pflichten des Herrschers. Und so kann nun zum ersten Mal in fast siebzig Jahren das Wüstentalfest in Theben, welches die Bauern und Priester gleichermaßen begehen, unter den Augen des Pharaos wie von der Tradition gefordert stattfinden. Endlich kann Amun-Re wieder in einer festlichen Prozession durch die Stadt zu den Tempeln getragen werden. Im Laufe des Festes wird dann Amun, der König der Götter und Gott der Könige, mit großem Gefolge in die Stadt der Toten ziehen. Und noch bevor die Himmelsgöttin Nut die Sonne am Abend wieder verschluckt, werden sich die Gräber im Westen Thebens öffnen. Werden Gelächter und Gesang, der Geruch feiner Speisen sowie unzähliger Liter Wein aus den Häusern der Toten aufsteigen. Wird im religiösen Zentrum Ägyptens das Diesseits scheinbar mit dem Jenseits verschmelzen. Denn auf der anderen Flussseite, im Land der untergehenden Sonne, beginnt das Reich der Toten, denn jenseits der Ebene des Niltals liegen die Tempel verstorbener Pharaonen sowie zahllose Gräber.
Hier, vor den Kalksteinbergen am Rand der Wüste, erheben sich die Tempel der Könige. In diesen Millionenjahrhäusern huldigen die Pharaonen sich selbst und den Göttern, auf dass sie ihnen ewiges Leben schenken mögen. Nach ihrem Tod werden die Herrscher dann selbst zu Gottheiten und fortan in den Tempeln von Priestern mit Opfergaben versorgt. Die Gebeine der Gottkönige selbst aber ruhen in einer versteckten Senke. Pharao Thutmosis I. hatte einst aus Angst vor Räubern seine Grabstätte in den Felsen dieser leicht zu bewachenden Schlucht schlagen lassen. Seither wurden alle Pharaonengräber in diesem Tal der Könige angelegt.
Thebens Beamte nutzen die Hänge zwischen diesen Ruhestätten und den Königstempeln als Friedhof. Vor allem hohe Staatsdiener wählen Lagen mit Blick auf die Millionenjahrhäuser und den heiligen Bezirk des Reichsgottes auf der anderen Flussseite.
An diesem Tag des Festes nun zieht Amun-Re mit seinem Gefolge aus, um die verstorbenen Pharaonen zu besuchen und ihnen durch seine Gegenwart neue Kraft für das jenseitige Leben zu spenden. Und während die Reise des Reichsgottes für das Volk wohl nur ein großes Spektakel ist, feiern die Angehörigen eines Verstorbenen, der es sich leisten konnte, im Westen begraben zu sein, mit ihrem Toten das Schöne Fest vom Wüstental.
Tagelang bereiten sich die Menschen
Thebens auf die Feier vor. Tänzerinnen
werden verpflichtet,
Matten, Schemel, Stühle und Tische in
die Totenstadt geschafft, die Gräber mit
Blumen und Fackeln bestückt und große
Mengen Essen zubereitet.
Diener füllen Korb um Korb mit
Früchten und honigsüßem Kuchen aus
Erdmandeln, schlachten Enten, Gänse,
Wachteln, Tauben, Schafe, Schweine
und Rinder, schleppen Brennholz von
Vorratslagern auf den Dächern hinunter
in die offenen Küchen und Innenhöfe.
Dort bereiten Köche über dem Feuer
Fisch, Fleisch und Gemüse zu. Der Geruch von Erbsen, Linsen, Zwiebeln,
Knoblauch und Kräutern zieht durch die
Häuser, es duftet nach frischem Brot.
Brauer liefern den Hausherren Bier,
hergestellt aus mit Datteln und Wasser
vergorenen Braubroten.
Diener schaffen aus den Kellern Wein
herbei, den die Menschen bei Festen in
großen Mengen trinken und den Göttern
opfern, der aber auch als Heilmittel gilt
und bei allerlei körperlichen Gebrechen
geschluckt wird. Auf vielen Krügen ist
verzeichnet, wann und auf welchem Gut
der Wein gekeltert und abgefüllt wurde.
Theben, am frühen Morgen nach
Neumond.
Fahnen wehen über dem großen Tor
im Westen des Amun-Tempels, davor
blitzen, den Sonnenstrahlen nachempfunden,
golden die Spitzen von monumentalen
Obelisken auf. Von überall her
strömen Menschen herbei.
Oberster Herr des Kultes ist
der Pharao, alle anderen
Gottesdiener handeln nur
als seine Stellvertreter. Den
höchsten Rang unter ihnen nimmt an
jedem Tempel der Hohepriester ein.
Türöffner des Himmels wird in Theben
der Hohepriester des Amun genannt.
Große Bedeutung haben auch die Vorlesepriester, die während der Zeremonien
die heiligen Texte rezitieren.
Jubel brandet auf, als die Prozession
im geöffneten Tempeltor erscheint. Hinter der Barke schreitet der irdische Sohn
des Reichsgottes. Pharao Ptolemaios I.,
der zu dem Totenfest eigens aus Alexandria
angereist ist. Wedelträger begleiten
den König und fächeln ihm mit Straußenfedern
an langen Stangen kühle Luft zu.
Die Priesterschaft des Amun sowie
Abgeordnete anderer Tempel schließen
sich dem Zug an. Langsam bewegt er
sich vom Tempeltor in Richtung Nilufer.
Unzählige Menschen säumen den Weg.
Gemächlich legt der Festzug den
wenige Hundert Meter langen
Weg bis zum Flussufer zurück,
entlang einer eigens für diesen
Zweck angelegten Prozessionsstraße,
die das Haus des Gottes mit dem Anleger
des Tempels verbindet.
Männer und Frauen drängen zur Barke
des Amun, sie haben mit Gebeten beschriebene Tonscherben dabei, die sie
dem vorbeiziehenden Gott in den Weg
legen, als Ausdruck tiefster Frömmigkeit.
Am Flussufer angekommen, laden
Priester das vergoldete Götterschiff auf
eine größere Barke, auf ein echtes
Boot aus Zedernholz. Dann setzt der
Gott seine Reise auf dem Nil fort, im
Schlepptau des königlichen Schiffes und gefolgt von unzähligen kleinen Booten
und Kähnen.
Die Barke des Amun nähert sich langsam
dem Bassin vor dem Tempel der
Hatschepsut. Er ist der größte Bau im heiligen
Wüstental. Dort wird Amun das erste
Mal einkehren auf seiner alljährlichen
Reise zu den Tempeln der vergöttlichten
Pharaonen.
Priester schultern die Barke mit der
im Schrein verborgenen Statue des
Reichsgottes. Das letzte Stück von
Amuns Weg führt über eine 37 Meter
breite, von mächtigen Sphingen gesäumte
Prachtstraße. Dann geht es die erste
Rampe hinauf.
Die Gläubigen müssen hier zurückbleiben.
Nach einiger Zeit sehen sie, wie
von der obersten Terrasse dichter Rauch
aufsteigt. Das Brandopfer für Amun hat
begonnen, jenes Opfer, von dem die Menschen hoffen, dass es ihre verstorbenen
Könige stärken und auch ihnen
selbst Heil bringen möge.
Die Träger haben den Reichsgott in
eine Kapelle tief im Inneren des Felsens
gebracht. Auf einem Altar im Opferhof
entzündet Pharao Ptolemaios I. das
Fleisch frisch geschlachteter Mastochsen
und Gänse.
Priester reichen ihm Schalen mit den
besten Stücken, schütten Myrrhe und
Weihrauch in das Feuer. Andere rezitieren
heilige Sprüche, auf dass das Leben
der gottgewordenen Hatschepsut im Jenseits
ewig fortdauern möge.
Doch irgendwann verlöschen die letzten
Flammen des Brandopfers, sind die
Kulthandlungen im Tempel für diesen
Abend beendet. Nun beginnt für die freien Männer
und Frauen der schönste Teil des
Festes, die Feier in den Gräbern ihrer
Angehörigen.
Priester und Beamte machen sich auf
in Richtung der Gräberhügel. Sie tragen
mit Blütengirlanden umwickelte Buketts
aus Papyrusstauden. Ein Tribut an die
Verstorbenen, ein Zeichen des Lebens in
der Gräberstadt, die sich mit Sängerinnen
und immer mehr festlich gekleideten
Menschen füllt.
Auch die Toten sind nun
anwesend. Denn der Ka, die
unsterbliche Lebenskraft eines
jeden Menschen oder Verstorbenen,
verlässt nach dem
Glauben der Feiernden den
einbalsamierten Körper in der
unterirdischen, mit Geröll und
Sand verschlossenen Sargkammer,
um die Gaben entgegenzunehmen.
Ausrichter und Gäste erheben
ihre Schalen und Becher
mit Wein. Für deinen Ka.
Trinke den schönen Rauschtrunk!
Feiere den schönen Tag!", prosten
die Anwesenden dem Verstorbenen zu.
Musik erklingt während des Banketts,
ein Harfenspieler trägt Lieder vor, Tänzerinnen
wiegen sich zu den Klängen
von Lauten und Oboen.
Vermutlich erst im Morgengrauen
verabschieden sich die Hinterbliebenen
von den Toten und kehren heim.
Das Schöne Fest vom Wüstental indes
geht noch tagelang weiter. Sobald am
Morgen die Nachtwachen im Millionenjahrhaus
der Hatschepsut ihre Fackeln
gelöscht haben, setzt der Reichsgott seine
Reise durch die Totenstadt fort.
Nun besucht er einen Königstempel
nach dem anderen, bis er bei dem des
noch lebenden Herrschers Ptolemaios I.
angekommen ist, welcher in ziemlicher Eile in den letzten Monaten gebaut worden war.
Erst danach wird Amun wieder
den Nil überqueren und in der Dunkelheit
seines großen Heiligtums auf dem
Ostufer verschwinden. Und damit wird das Fest des Amun-Re enden und der Alltag in Theben wieder einkehren.
Bis die Tore des großen Tempels sich erneut öffnen werden, im nächsten Jahr am Tage nach dem ersten Neumond im Schemu II, und das schöne Fest vom Wüstental wieder Zehntausende Menschen und ihre Ahnen zur größten Feier in Ägypten zusammenführen wird.